MdB und TTIP

Der nachfolgende Text, der tatsächlich von einem MdB unterschrieben worden ist und mit den entwürdigenden und inakzeptablen Umständen der Einsicht in die TTIP-Verhandlungsdokumente beginnt, ist nicht gleichzeitig der Beginn einer kritischen  Bestandsaufnahme eines MdB. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

TTIP und Transparenz – ein schwieriges Thema, das wir ein ums andere Mal diskutiert haben. Nun soll ein neues Kapitel aufgeschlagen werden: Seit diesem Monat können alle Abgeordnete der nationalen Parlamente der EU – und somit auch ich – Einsicht in die konsolidierten TTIP-Verhandlungsdokumente nehmen.

Für die Abgeordneten des Bundestages stehen acht Computer-Arbeitsplätze in einem Leseraum im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bereit. In den Sitzungswochen ist der Leseraum jeweils von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr geöffnet. In den sitzungsfreien Wochen steht der Leseraum den Mitgliedern des Bundestages am Dienstag und Mittwoch von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr zur Verfügung.

Ich werde am 11. April Einsicht in die Dokumente nehmen, wie mir vergangene Woche von der Bundestagsverwaltung auf meine schriftliche Anfrage bestätigt wurde.

Vor Ort werden mir Stift und Papier gestellt, denn vor dem Zutritt zum Leseraum müssen Mobiltelefone, Kameras und andere elektronische Geräte mit einer Aufzeichnungsfunktion sowie Taschen in bereitstehenden Schließfächern eingeschlossen werden.

Über den Inhalt der eingesehenen Dokumente kann ich also handschriftliche Notizen machen – aber keine Abschriften. Im TTIP-Leseraum wird eine Aufsichtsperson sein, die mir jederzeit über die Schulter schauen darf, ob ich die Nutzungsregelungen für die Einsichtnahme der Dokumente einhalte. Außerdem steht mir ein Wörterbuch zur Verfügung, denn die Texte sind allesamt auf Englisch.

Eine aktuelle Liste der jeweils einsehbaren konsolidierten Verhandlungsdokumente kann ich vorab auf der Seite des bundestagsinternen EU-Informationssystems (EuDoX) abrufen. Ich weiß also, dass es ein Kapitel zu Landwirtschaft und ein Kapitel zu regulatorischer Zusammenarbeit* gibt, die ich prioritär studieren werde. Und dann müssen wir mal schauen…denn: Habt ihr schon mal die Texte des CETA-Abkommens, dem Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, gelesen? Unter dem Link http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc_152806.pdf findet ihr das vollständige Dokument. Alles andere als eine Offenbarung, wenn ihr mich fragt…

Wie es die Natur eines Handelsabkommens ist, steckt es den Rahmen ab, in dem Handel betrieben werden darf. Wie dieser Rahmen dann mit Leben gefüllt wird, steht dort natürlich nicht – das muss sich erst in der Realität zeigen. Genauso wenig ist am Text eines Abkommens abzulesen, wie Gerichte diesen Vertrag im Streitfall auslegen werden. Ich schreibe das hier in aller Deutlichkeit, damit keine falschen Hoffnungen entstehen, was den Erkenntnisgewinn der Einsichtnahme anbelangt.

Denn so richtig und wichtig es ist, die nationalen Abgeordneten besser zu informieren: Die nun zur Verfügung gestellten konsolidierten Texte sind lediglich der Status quo der Verhandlungen! Die Verhandlungen zu TTIP sind noch in vollem Gange, das heißt selbst momentan abgeschlossene Kapitel könnten nochmal geöffnet werden. In diesem Zusammenhang: Dieser Tage beginnt die 14. TTIP-Verhandlungsrunde. Mit auf der Agenda steht die regulatorische Zusammenarbeit. Das zeigt, dass das Halali noch lange nicht erklungen ist!

Natürlich müssen wir weiterhin auf größtmögliche Transparenz gegenüber der Kommission und den USA pochen. Natürlich müssen wir Informationen, die uns zur Verfügung gestellt werden, auch annehmen. Wir müssen den Verhandlungsführern zeigen, dass wir ihre Arbeit sehr genau verfolgen.

Doch ans Eingemachte wird es erst gehen, wenn der Text fertig ausverhandelt ist und dem Parlament formal zugeleitet wurde. Dann werden wir noch mal richtig tief in die Diskussion einsteigen – innerhalb der Partei und natürlich mit den Bürgerinnen und Bürgern! Denn dann haben wir auch eine solide Grundlage, auf der wir sachlich argumentieren können anstatt jede Woche ein neues Chlorhühnchen durch‘s Dorf zu treiben…

Wir werden den Text eingehend prüfen, ob die Anforderungen, die wir Sozialdemokraten an internationale Freihandelsabkommen stellen, eingehalten wurden. Erst vor zwei Monaten auf dem Bundesparteitag in Berlin haben wir erneut festgeschrieben, was wir von TTIP erwarten. Ihr findet den Beschluss Nr. 27 „Globalisierung gestalten – fairen Handel ermöglichen – demokratische Grundsätze gewährleisten.“ Dieser Beschluss geht einher mit dem Beschluss des Parteikonvents im September 2014 und den Entschließungen des Europäischen Parlaments (EP) im Juli 2015. Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des EP-Handelsausschusses und Berichterstatter für TTIP, hat hier auf europäischer Ebene sehr gute Arbeit geleistet.

Diese Beschlüsse enthalten die Standards, an denen sich der der Vertrag messen lassen muss. Und die Verhandlungsführer von EU-Kommission und USA wissen ebenfalls Bescheid, welche Standards das Abkommen erfüllen muss, um die Zustimmung der SPD in Brüssel wie in Berlin zu bekommen.

Schließen möchte ich mit einem Zitat unseres Parteivorsitzenden. Zugegeben, wir sind nicht immer einer Meinung, aber was Sigmar am 1. Oktober 2015 im Plenum zu TTIP gesagt hat, finde ich richtig: „Wir sind nicht gezwungen, am Ende Ja zu sagen“.  

In diesem Sinne schöne Grüße.

MdB

*Regulatorische Zusammenarbeit: Hier soll ein Gremium Empfehlungen erarbeiten, wie z.B. Standards in Zukunft angeglichen werden können oder ob bei bestehenden Unterschieden trotzdem das gleiche Schutzniveau erreicht wird.

 

Anmerkungen

Der Bericht des MdB, den dieser offensichtlich nicht selbst geschrieben hat, aber als vermeintlich höchstpersönlicher Bericht authentisch und in der Sache glaubwürdig wirken und entsprechend beeinflussen soll, ist eine grandiose Verharmlosung von TTIP. Man könnte sogar sagen, die Verachtung der Befürworter von TTIP gegen ablehnende Positionen wird in diesem Text deutlich; etwa wenn auf Chlorhühnchen hingewiesen wird, die wöchentlich durchs Dorf getrieben werden.

Unglaublich ist auch, dass die empörenden Umstände der Einsicht in die Dokumente nicht etwa kritisiert, sondern hingenommen werden, als seien sie selbstverständlich. Nicht einmal die anwesende Aufsichtsperson, bei der ich die Uniform vermisse, führt zu einer kritischen Anmerkung. Da drängt sich vergleichsweise der Eindruck auf,  dass es einem Gefängnisinsassen eingeschränkt erlaubt wird, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern, ohne seine Interessen wahrnehmen zu können.

Nun muss man die MdB auch in Schutz nehmen. Sie sind ständig gefordert und können nicht in allen Sachfragen eine Antwort geben. Sie haben ihr Spezialgebiet und verlassen sich ansonsten auf die Spezialisten der anderen Sachgebiete in den eigenen Reihen. Wer etwa in der Sozialpolitik nicht bewandert ist, was viel zu häufig der Fall ist, vertraut seinem kundigen Kollegen der eigenen Partei. Das  ist insoweit auch verständlich, als Korrekturen nach einer als falsch erkannten gesetzlichen Regelung jederzeit möglich sein können.

Anders bei TTIP: Sind erst Privatisierungen im Zusammenhang mit TISA  akzeptiert, um nur ein Beispiel zu nennen, können sie nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil sie auf Dauer gelten. Deswegen ist jeder MdB aufgerufen, sich selbst ein Bild zu machen und nicht den Spezialisten zu vertrauen.

Auch CETA, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, ist genauso zu bewerten wie TTIP. Wundern muss ich mich allerdings über die Aussage, dass das mit dem Link beigefügte Dokument von 1598 Seiten „alles andere als eine Offenbarung“ ist. Wer zu einer solchen Bewertung kommt, hat den englischen Text vollständig gelesen, hat alles verstanden und kommt zu einer lapidaren Bewertung, die nichts aussagt.

Ceta ist eine Blaupause für TTIP. Das gilt nicht zuletzt für den heftig umstrittenen Investorenschutz. Allerdings soll sich die kanadische Regierung nicht nur bereit erklärt haben, das Kapitel zu den Sondergerichten für Investoren nachträglich zu überarbeiten, sondern auch die im Herbst 2015 für TTIP gemachten Reformvorschläge der Kommission für einen neuen, unabhängigen Gerichtshof für Investorenschutzklagen in Ceta zu übernehmen.

Paralleljustiz versus Demokratie:

 

Rolf Aschenbeck

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