Politikwechsel

 

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat eine gesetzliche Beschränkung von Bonuszahlungen an Manager von Unternehmen gefordert. „Es ist doch unfassbar, wenn Spitzenmanager ein Unternehmen in die Krise fahren und sich unter Berufung auf ihre Verträge Boni auszahlen lassen“, sagte Gabriel. Lesen Sie das leicht gekürzte Interview mit ihm von Christian Karl und Jörg Quoos, dem HA entnommen.

Herr Gabriel, die SPD will ihren Kanzlerkandidaten erst im Januar benennen. Was hält Sie eigentlich davon ab, den Bürgern jetzt zu sagen: Ich trete an!

Sigmar Gabriel: Weil es um eine ernsthafte Entscheidung geht und wir Sozialdemokraten diese gut vorbereitet treffen wollen. Wir reden hier über die Frage, wer aus Sicht der SPD die größte Volkswirtschaft Europas anführen soll. Und das ist nichts, was man mal eben so im Vorbeigehen zwischen Weihnachten und Neujahr macht. Ich glaube ohnehin, dass sich die Menschen jetzt für Weihnachtageschenke, einen Glühwein am Weihnachtsmarkt oder die Silvesterparty interessieren und nicht für Politik.

Können Sie denn wenigstens eine Stellenbeschreibung für das Amt des Kanzlerkandidaten liefern?

Gabriel: Er muss die Herausforderungen für dieses Land kennen. Und er muss gemeinsam mit der SPD die richtige Antwort geben. Die Herausforderungen werden nicht kleiner – deshalb ist ein Regierungswechsel gut: Die CDU hat nach zwölf Jahren nur noch Angela Merkel und liegt mit ihr in zentralen Fragen im Streit. Diese Partei hat keine Antworten für die Zukunft Deutschlands und sollte besser in der Opposition klären, was sie in diesem Land eigentlich will.

Politikwechsel erforderlich

Deutschland geht es im internationalen Vergleich gut. Welche Gründe wollen Sie für den Wechsel anführen?

Gabriel: Weil die CDU/CSU gerade dabei ist, genau diese Stärke des Landes zu verspielen. Die SPD ist stolz auf die Bilanz des Wirtschafts- und des Arbeitsministeriums: Die Arbeitslosigkeit ist seit Beginn unserer Regierungszeit 2013 auf den niedrigsten Stand gefallen. Wir haben erstmals wieder ordentliches Wachstum, hohen Beschäftigungsstand, einen Anstieg der gut bezahlten Jobs und einen Rückgang prekärer Arbeit.

Wir müssen uns jetzt aber Gedanken machen, wie wir das auch in zehn Jahren erhalten. Die einzige Antwort der Union sind gigantische Steuersenkungsversprechen im Wahlkampf, das ist unverantwortlich. Steuersenkungen, die dann auch noch sozial ungerecht verteilt sind. Die SPD will auch Entlastungen, aber für Familien, mittlere und kleine Einkommen und nicht mit der Gießkanne auch für Einkommensmillionäre.

Welche Rolle spielen Umfragen bei der Entscheidung?

Gabriel: Ob jemand populär ist, ist eine wichtige Frage – aber nicht die einzige. Wir hatten schon zweimal sehr populäre Kandidaten, die beide verloren haben.

In der Wirtschaft wie bei den Gewerkschaften heißt es: Gabriel macht einen guten Job. Wie erklären Sie sich, dass ihre Beliebtheitswerte dennoch so mäßig sind?

Gabriel: Meine Rolle als Minister, Vizekanzler und SPD-Vorsitzender bringt es mit sich, dass ich in jedem Konflikt zu sehen und zu hören bin – auch dort, wo ich in der Regierung nicht zuständig bin. Als Parteivorsitzender werde ich zu jedem Thema gefragt, auch zum Beispiel zu Asyl- oder Sicherheitsfragen. Würde ich mich nur mit Wirtschafts- und Beschäftigungsfragen befassen, wäre es wohl einfacher. Außerdem gehöre ich zu dem Politiker-Typus, der klare Antworten bevorzugt. Mir ist eine klare Haltung lieber als alles im Ungefähren zu lassen.

Ist ein SPD-Chef, der nicht Kanzler werden will, ein schwacher Vorsitzender?

Gabriel: Ein SPD-Vorsitzender muss sich selbstverständlich immer vorstellen können, Kanzlerkandidat zu sein. Aber ich habe beim letzten Mal die Kandidatur Peer Steinbrück überlassen und hatte nicht den Eindruck, ein schwacher Vorsitzender zu sein.

Beschreiben Sie doch bitte mal Ihr Verhältnis zu Martin Schulz: Gibt es in der Politik wirklich Freundschaft?

Gabriel: Wir sind Freunde. Aber wir sind nicht befreundet, weil wir in der Politik sind. Wir haben uns nur in der Politik kennengelernt.

Was schätzen Sie an Ihrem Freund?

Gabriel: Ich bin beeindruckt von Martins Lebenslauf. Er weiß, wie das Leben ist, wenn man nicht auf der Sonnenseite steht. Er ist außerordentlich verlässlich. Und wir teilen im privaten Leben ein paar gemeinschaftliche Erfahrungen, die auch verbinden. Er ist ungeheuer humorvoll. Und er ist noch eruptiver als ich…

Martin Schulz hat offenkundig Interesse an der Kanzlerkandidatur. Führen Sie da Männergespräche unter vier Augen über die K-Frage?

Gabriel: Bei diesem wichtigen Amt entscheiden doch nicht zwei Männer unter sich. Ohne die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, ohne Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz und noch einige andere werden solche Entscheidungen nicht getroffen. Und am Ende steht auch bei uns ein Parteitag.

Fairer Wahlkampf notwendig

Wie hart wird der Wahlkampf?

Gabriel: Wir werden keinen Wahlkampf führen, der persönliche Beleidigungen beinhaltet wie in den USA. Wir Sozialdemokraten haben gerade dazu aufgefordert, ein Fairness-Abkommen zwischen den demokratischen Parteien abzuschließen, auch mit Blick auf Lügenkampagnen im Internet.

Der Begriff Fake-News ist dafür ja eine unfassbare Beschönigung. Es sind Lügen, die bewusst im politischen Kampf eingesetzt werden. Wir wollen uns gemeinschaftlich – auch füreinander – als Demokraten zur Wehr setzen. Wenn eine Lügenkampagne auf eine Partei zielt, müssen sich die anderen Parteien schützend vor sie und ihre Politiker stellen.

Brauchen wir härtere Strafen?

Gabriel: Wir können keine Lügenpolizei im Internet einrichten. Für Anstand und Respekt zu sorgen ist nicht nur Aufgabe des Staates, das ist eine allgemeine Pflicht in der Demokratie. Das betrifft nicht nur das Internet – aber auch dort müssen wir uns Hasstiraden entgegenstellen. Die SPD wird diese Haltung im Wahlkampf demonstrieren.

Was ist, wenn der russische Geheimdienst bei Lügenkampagnen mitmischt? Reicht die Gesetzeslage aus?

Gabriel: Das ist eine Sache für Staatsanwaltschaft und Sicherheitsbehörden. Es gibt den Straftatbestand der Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung. Die analoge Welt bietet einen ausreichenden Strafrahmen.

Wie wollen Sie frustrierte SPD-Wähler aus dem AfD-Lager zurückholen?

Gabriel: Die SPD wird Antworten geben, wie wir das Land zusammenhalten und Deutschlands Stärke in die Zukunft tragen. Wir haben doch unter Beweis gestellt, dass wir vieles durchsetzen konnten. Nicht nur den Mindestlohn und das Recht auf eine ungekürzte Rente nach 45 Versicherungsjahren. Wir haben die Arbeitslosigkeit gesenkt, es gibt wieder echte Lohnerhöhungen, mehr Menschen als jemals zuvor sind in verlässlicher Arbeit. Wir haben die Wohnungsbaumittel verdreifacht, sechs Milliarden Euro in neue Kitas und Ganztagsschulen investiert.

Aber diese Investitionen müssen weiter gehen und dürfen durch CDU/CSU nicht wieder zurück gedreht werden. Denn mich treibt am meisten das Auseinanderdriften des Landes um: zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West. Aber zum Beispiel auch zwischen den Städten, in denen die Mieten explodieren, und dem Land, wo Krankenhäuser und Schulen schließen und Ärzte fehlen.

Aber die Mietpreise bilden sich auf einem freien Wohnungsmarkt …

Gabriel: Früher hatten wir einen kräftigen gemeinnützigen Wohnungsmarkt, der für Konkurrenz zum freien Markt gesorgt hat. Diese Konkurrenz hat auch dafür gesorgt, dass die Mieten nicht explodiert sind. Dann ist die Gemeinnützigkeit politisch platt gemacht worden und hunderttausende von Wohnungen wurden privatisiert. Jeder Markt braucht Gemeinwohlregeln und gesunde Konkurrenz. Beides müssen wir wieder schaffen.

Inhaltsverzeichnis

Mehr Geld für die öffentliche Infrastruktur

Gibt es mit Ihnen Hoffnung auf Steuerentlastungen?

Gabriel: Ich kann nicht ständig über zu wenig Polizei klagen und dann wie die Union Steuersenkungsorgien versprechen: Fast 40 Milliarden Entlastung hat die Union angekündigt. Der geplante Wegfall des Solidaritätszuschlags kostet allein 20 Milliarden, die geplante Entlastung bei der Einkommensteuer soll 15 Milliarden Euro kosten – zusammen mehr als zehn Prozent des Bundeshaushaltes.

Dabei haben wir doch allein in den Schulen einen Sanierungsstau von 34 Milliarden Euro. Wir brauchen mehr Geld für die öffentliche Infrastruktur, für den Wohnungsbau in unseren Städten und Mittel gegen das Ausbluten kleiner Dörfer. Wir müssen in Bildung, Forschung, Digitalisierung investieren. Gigantische Steuersenkungen aber werden in neuen Schulden oder riesigen Verteilungskämpfen enden.

Was ist Ihre Alternative?

Gabriel: Ich will keine Steuersenkung mit der Gießkanne. Sondern lieber zum Beispiel dafür sorgen, dass die Kita-Gebühren sinken. Damit ist Familien doch viel mehr geholfen. Wir haben wegen der niedrigen Zinsen für Kredite eine gute Haushaltslage, aber die Zinsen werden wieder steigen. Wir brauchen Maß und Mitte.

Finanziert über höhere Steuern für Gutverdiener und Vermögende?

Gabriel: Die Gutverdienenden müssen einen angemessenen Beitrag am öffentlichen Gemeinwohl leisten. Und zwar nicht aus einem gesellschaftlichen Neid-Reflex. Wir sollten froh sein über jeden, der in unserem Land gut und besser verdient. Aber umgekehrt müssen die, die das geschafft haben, wissen, dass man nie allein durch die eigene Leistung wohlhabend wird. Die Bedingungen dafür stellt die Gesellschaft zur Verfügung: gute Schulen, berufliche Ausbildung, Unis, innere Sicherheit, sozialer Frieden und vieles mehr. Das alles zahlen im Wesentlichen die, die nicht wohlhabend sind über ihre Steuern.

Deshalb ist es nur fair, in Zeiten wachsender Unsicherheit und großer Zukunftsaufgaben auch die zu bitten, denen es gut geht, etwas mehr für das Gemeinwohl zu tun als bisher. Viel problematischer sind aber die Steueroasen in Europa, bei denen große Konzerne wie Google oder Amazon nur ein Prozent Steuern zahlen. Uns droht in Europa gerade ein neuer Steuersenkungswettbewerb, mit dem sich einige EU-Länder wie Ungarn attraktiver für Unternehmen machen wollen.

Sie klingen besorgt …

Gabriel: Wenn das Europa ist, dann geht das schief. Die Leute bei uns verstehen doch nicht, dass sie mit ihren Steuern Fördermittel für Länder in der EU finanzieren sollen, von denen einige dann mit diesem Geld ihre Unternehmenssteuern senken und so die Verlagerung unserer Arbeitsplätze betreiben – dorthin, wo Löhne und Steuersätze niedriger sind. Und was ist gut daran, dass Deutschland für die irische Bankenkrise haftet, die Iren aber nicht bereit sind, von Apple 13 Milliarden Euro Steuern einzunehmen?

Was ist die Konsequenz?

Gabriel: Wir brauchen dringend mehr Steuergerechtigkeit in Europa. Bei der nächsten Debatte über die mittlere Finanzplanung der EU muss Deutschland konsequenter sein: Wir müssen in den Verhandlungen über den EU-Haushalt zur Bedingung machen, dass dem Steuersenkungswettbewerb ein Riegel vorgeschoben wird. Es wird eine Reihe anderer Länder geben, die uns folgen.

Außerdem muss die EU auch die soziale Säule stärken: Gleiche Löhne für gleiche Arbeit am gleichen Ort – um dieses Prinzip durchzusetzen, müssen die Binnenmarktregeln geändert werden. Zugleich darf Freizügigkeit nicht missbraucht werden, um in Sozialsysteme einzuwandern.

Kein Recht auf Zuwanderung in Sozialsysteme

Was meinen Sie?

Gabriel: In manchen Großstädten gibt es ganze Straßenzüge mit Schrottimmobilien, in denen Migranten nur aus einem Grund wohnen: Weil sie für ihre Kinder, die gar nicht in Deutschland leben, Kindergeld auf deutschem Niveau beziehen.

Wenn ein Kind aber nicht bei uns lebt, sondern in seinem Heimatland, dann sollte auch das Kindergeld auf dem Niveau des Heimatlandes ausgezahlt werden. Ich möchte seit Monaten, dass der zuständige CDU-Finanzminister einen Vorschlag für eine solche Kürzung des Kindergeldes vorlegt. Es gibt in Europa ein Recht auf Zuwanderung in Arbeit, aber kein Recht auf Zuwanderung in Sozialsysteme ohne Arbeit.

Der Zuzug von Flüchtlingen dürfte im Frühjahr wieder zunehmen. Wie reagiert die SPD, bleibt sie bei ihrer bisherigen Position?

Gabriel: Ja. Wir müssen mehr tun, um die Verhältnisse in den Herkunftsländern zu verbessern. Wir brauchen eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Und wer kein Asyl erhält und kein Bürgerkriegsflüchtling ist, muss auch schneller wieder in sein Heimatland zurückkehren.

Zur Bundestagswahl: Was sind Ihre Bedingungen für eine Koalition, an der sich die SPD beteiligt?

Gabriel: Wir müssen in der nächsten Wahlperiode entschieden gegen die Wohnungsknappheit vorgehen. Wir wollen aber auch die Daseinsvorsorge in den kleinen Gemeinden sichern. Auch dort muss es Grundschulen, die Ortsfeuerwehr und Ärzte und Krankenhäuser in vertretbarer Entfernung geben. Wir müssen zurück zu einer fairen, paritätisch von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzierten Krankenversicherung. Und wir müssen es hinbekommen, dass es weniger befristete Jobs gibt: Die Befristung ohne Sachgrund wollen wir abschaffen, damit Leute wieder Verlässlichkeit in ihrem Arbeitsleben haben.

Sie nennen Punkte, mit denen vielleicht die Union ein Problem hätte, aber nicht Rot-Rot-Grün. Was erwarten Sie im Fall einer Koalition von der Linkspartei?

Gabriel: Für uns ist völlig klar, dass wir in keine Regierung gehen, die Europa gefährdet. Linke-Fraktionschefin Wagenknecht hält mitunter Reden im Bundestag, die nicht weit weg von der AfD sind. Die Linkspartei muss deshalb vor der Bundestagswahl entscheiden, ob sie regieren will oder nicht. Und schließlich muss die nächste Regierung zu den deutschen Bündnisverpflichtungen stehen. Sie muss auch bereit sein, an einer gemeinsamen europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mitzuarbeiten. Dazu zählt auch die Beteiligung Deutschlands an Militäreinsätzen unter UN-Mandat, die Völkermorde stoppen sollen.

Ihre Partei diskutiert für das Wahlprogramm gerade eine Begrenzung von Manager-Boni. Worum geht es?

Gabriel: Wir müssen zeigen, dass wir der Gier Grenzen setzen. Es ist doch unfassbar, wenn Spitzenmanager ein Unternehmen in die Krise fahren und sich unter Berufung auf ihre Verträge Boni auszahlen lassen. Wir sollten Grenzen ziehen: Man sollte Boni nicht mehr von der Unternehmenssteuer absetzen können und sie sollten keine Pensionsansprüche auslösen.

Aber ist das nicht Sache der Unternehmen?

Gabriel: Natürlich wäre es mir lieber, die Unternehmen selbst würden das einsehen. Aber wenn der Anstand nicht von alleine kommt, kommt er vom Gesetzgeber. Wer das nicht will, der sollte sie am besten selbst begrenzen oder abschaffen. Das wäre das Beste.

 

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