Kurswechsel

Lesen Sie die gekürzten und redaktionell geänderten Auszüge einer Rede des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske zur Rentenpolitik und der drohenden Alterarmut, ver.di.publik entnommen. Der von Bsirske geforderte Kurswechsel ist überfällig, muss aber angesichts massiver Widerstände in der Öffentlichkeitnachvollziehbar begründet werden

Auf die Frage: „Wie schätzen Sie die gesetzliche Rente ein, die Sie später einmal aus ihrer Erwerbstätigkeit erhalten werden?“ antworten aktuell 42 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit: „Es wird nicht ausreichen.“ Und weitere 40 Prozent sagen: „Es wird gerade so ausreichen.“ Diese Diagnose ist zutreffend. Und regierungsamtlich. Bereits im 5. Altenbericht der Bundesregierung hieß es 2005: „Wären die 2001-2004 beschlossenen Maßnahmen, die stufenweise ihre Wirkung entfalten sollten, bereits heute voll wirksam, so würde zum Beispiel eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung von 1.000 Euro bei optimistischer Rechnung nur noch 750 Euro betragen – also ein Viertel weniger.“

Rentenhöhe

Zum Vergleich: Die Rentenhöhe lag 2014 bei den männlichen Rentenzugängen im Westen bei 980 Euro (Frauen 562 Euro) und bei denen im Osten bei 952 Euro (Frauen 814 Euro). Das vermittelt eine Vorstellung von der Dimension dessen, was da auf uns zukommt. Wäre das gesetzliche Rentenniveau heute schon auf das Niveau abgesunken, das nach derzeitiger Gesetzeslage bis 2030 hingenommen wird – hätten wir also schon heute ein Rentenniveau von 43 Prozent -, dann würde jemand, der lediglich 80 Prozent des Durchschnittseinkommens – immerhin 2.400 Euro – über sein Arbeitsleben hinweg hatte, am Ende 38,2 Beitragsjahre benötigen, nur um das heutige Grundsicherungsniveau von 774 Euro zu erreichen!

Jemand, der mit 2.500 Euro etwas über den 80 Prozent vom Durchschnittseinkommen liegt, könnte danach mit einer Nettorente vor Steuern – also nach Abzug von rund 11 Prozent Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeitrag – von 809,09 Euro im Monat rechnen. Nur kommen derzeit rund 50 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bundesweit gar nicht auf 80 Prozent des Durchschnittseinkommens von zurzeit 2.400 Euro.  Was da tickt, ist keine demografische, sondern eine soziale Zeitbombe. Und die muss entschärft werden.

Riesterrente

Dazu war die Riesterrente gedacht – als private Vorsorge, vom Staat steuerlich gefördert. […] Heute wissen wir: Im Zeichen niedriger Zinsen, intransparenter Riester-Produkte und hoher Provisionsgebühren lohnt sich das Riestern nicht. Mal ganz davon abgesehen, dass diejenigen, die es am dringendsten bräuchten, es sich am wenigsten leisten können. […].

Vor diesem Hintergrund ist nun hoch interessant, was wir in Sachen Rente in den letzten Monaten an öffentlicher Debatte erlebt haben: Da erklärte CSU-Chef Horst Seehofer: „Die Riesterrente ist gescheitert!“ Stimmt! Und Sigmar Gabriel erklärt: „Das Rentenniveau muss stabilisiert werden, sonst droht Altersarmut.“ Stimmt auch! 

Dabei liegt das Rentenniveau in Deutschland heute schon deutliche 15 Prozent unter dem Durchschnitt der 34 Staaten der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD).

Rentenniveau

Und da meldet sich Jens Spahn, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Hoffnungsträger des Wirtschaftsflügels der CDU, und erklärt: Das Rentenniveau müsse noch weiter abgesenkt werden, als bisher geplant. Da lässt die Bundesbank verlauten, dass das gesetzliche Rentenalter auf 69 Jahre angehoben werden müsse. Und Frau Petry von der AfD toppt das noch, indem sie die „Rente erst mit 70“ befürwortet und obendrein prüfen will, ob nicht zusätzlich auch noch das Rentenniveau weiter abgesenkt werden müsse. 

Abschlagsfreie Rente für alle erst mit 70? Haben die sie eigentlich noch alle? Da sind Leute unterwegs, die offenbar jeden Kontakt zur Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen verloren haben. Die sollten wir mal einladen, eine Woche schaffen zu gehen: in Pflegeheimen, in der Notaufnahme von Krankenhäusern, auf dem Bau, oder sie einladen, bei der Müllabfuhr eine Woche lang Mülltonnen zu laden – viele Kilometer am Tag – bei jedem Wetter. Und dann fragen wir sie mal, ob sie sich vorstellen können, das nicht nur eine Woche zu machen, sondern ein Jahr und nach dem Jahr noch zehn Jahre und nach zehn Jahren noch 30, 35, 40 Jahre und ob sie dann immer noch für die abschlagsfreie Rente erst ab 67 oder gar 70 sind – das fragen wir sie dann mal. Und da bin ich gespannt auf die Antworten.

Die Talfahrt des Rentenniveaus muss gestoppt werden. Das gesetzliche Rentenniveau muss stabilisiert und dann wieder angehoben werden. Nach jahrzehntelanger Arbeit muss die Rente reichen, um ein anständiges Leben führen und in Würde altern zu können.Erwerbsarbeit

Erwerbsarbeit

Zeiten im Niedriglohnbezug, Zeiten der Arbeitslosigkeit, Zeiten prekärer Selbständigkeit müssen aufgewertet werden: Rente nach Mindesteinkommen – so wie das für Zeiten bis 1991 schon der Fall ist. Das würde insbesondere vielen Frauen, Arbeitslosen und Menschen mit geringen Löhnen helfen. Für Langzeitarbeitslose muss die Bundesagentur für Arbeit wieder Beiträge an die Rentenversicherung abführen.   Und um eine langfristige Finanzierung zu sichern, brauchen wir eine Erwerbstätigenversicherung für alle neu ins Erwerbsleben Eintretenden.

Klar ist, die Anhebung des gesetzlichen Rentenniveaus alleine wird das Problem der Altersarmut nicht lösen. Deshalb sind gute Lohnabschlüsse so wichtig und der Kampf gegen die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen in Gestalt etwa von Scheinwerkverträgen, Minijobs und unnötig befristete Arbeitsverhältnissen.

Viele zahlen lieber drei, vier Prozent höhere Beiträge, als dass sie im Alter dauerhaft von Hartz IV beziehungsweise Altersgrundsicherung abhängig sind. Das Rentenniveau vor Steuern, das dem im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard in etwa entspricht, liegt bei etwa 53 Prozent. Die Anhebung des Beitragssatzes um einen Beitragssatzpunkt würde für einen Erwerbstätigen, der monatlich 2.500 Euro verdient, zusätzlich 12,50 Euro Monatsbeitrag bedeuten: Mit rund 16 Euro könnte dieser Versicherte – paritätische Finanzierung vorausgesetzt – wieder auf ein Rentenniveau von rund 50 Prozent vor Steuern kommen und mit weiteren 19 Euro auf 53 Prozent.

Steuerfinanzierung

So, wie ein höheres Rentenniveau maßgeblich über höhere Beiträge zu finanzieren ist, müssen gesamtgesellschaftliche Aufgaben, wie Kindererziehung oder Armutsbekämpfung auch von der gesamten Gesellschaft, also aus Steuermitteln getragen werden. Wenn zum Beispiel die Zahlungen der Mütterrente – das heißt die rentenrechtliche Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung, mit Kosten von immerhin rund 6,5 Milliarden Euro jährlich – der Rentenversicherung vollständig vom Bund erstattet würden, könnte die Beitragssatzanhebung, die für eine Rentenniveausteigerung notwendig wird, entsprechend geringer ausfallen.

Mithin werden zur Umsetzung unserer rentenpolitischen Forderungen auch höhere steuerliche Zuschüsse notwendig sein: Es muss Schluss damit gemacht werden, dass Deutschland eine Steueroase ist bei der Besteuerung großer Vermögen und großer Erbschaften und ein Niedrigsteuerland bei der Besteuerung von Kapitalerträgen. Es ist doch ein Unding, dass Kapitalerträge in Deutschland mit 25 Prozent besteuert werden und Arbeitseinkommen mit bis zu 43 Prozent. Nicht nur, weil die Vermögensverteilung immer ungleicher geworden ist, sondern auch, weil es die Profiteure steuerpolitischer Reichtumspflege in der Ära Schröder und Merkel gewesen sind, die in der Finanzmarktkrise mit hunderten von Milliarden Euro zusätzlicher Staatsverschuldung vor Vermögensschäden bewahrt wurden, durch uns, die Steuerzahler.

Im Zeichen öffentlicher Investitionsbedarfe, kommunaler Finanzprobleme und rentenpolitischer Handlungsbedarfe können und dürfen wir es uns nicht länger leisten, Besitzer großer Vermögen und reiche Erben steuerlich zu privilegieren. Das ist unsere Position. Dafür treten wir ein: für faires Teilen und für mehr Steuergerechtigkeit.

Lebensstandardsicherung

Wir können sicher sein: Die Forderung nach dem Vorrang der Lebensstandardsicherung, unter bewusster Inkaufnahme höherer Beitragssätze und höherer steuerfinanzierter Leistungen, wird die Arbeitgeberverbände und ihre Adepten auf die Zinne treiben. Ein Anstieg der Lohnkosten um 6 oder 7 Prozent zur paritätischen Finanzierung besserer Renten, verteilt auf die nächsten 10 bis 14 Jahre – das geht in ihren Augen natürlich gar nicht. Sie werden dagegen schießen und einen Generationenkonflikt beschwören: Alt gegen Jung und Jung gegen Alt. Nur wenn die Rentnerinnen und Rentner den Gürtel enger schnallten, so die Parole, bliebe die Rente zukünftig bezahlbar.

In der Rentenpolitik gibt es keinen Generationenkonflikt. Jung kämpft nicht gegen Alt. Die jungen Beschäftigten, die heute einzahlen, sind doch die Alten von morgen, die dann von der heute gekürzten Rente leben müssen. Für die einen wie für die anderen, für die Rentnerinnen und Rentner von morgen wie für die heutigen gilt deshalb gleichermaßen: Menschen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, möglicherweise unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit, Zeiten prekärer Selbständigkeit, müssen eine Rente erhalten, die sie vor Armut schützt! Das ist eine Grundforderung sozialer Gerechtigkeit.

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